Beitrag der Initiative in Gedenken an Ramazan Avcı

Das Problem heißt Rassismus! Es reicht!

Nach über 5 Jahren Strafprozess in München in Sachen National Sozialistischer Untergrund sind heute milde Urteile gegen die fünf Angeklagten gesprochen worden. Das Strafmaß blieb zum Teil deutlich unter den Forderungen der Generalbundesanwaltschaft. Durch das Urteil soll für die Deutung der Geschichte festgehalten werden, was die Bundesanwaltschaft durch die Anklage vorgab: Der NSU- ein allein existierendes Kerntrio.

Alle sonstigen Helfer*innen der NSU Morde und des Netzwerks können sich beruhigt zurücklehnen. Das Münchener Oberlandesgericht hat für die Naziszene zwei Helden geschaffen, die bis auf die Hauptangeklagte bald freikommen werden. Wer, wie manch ein Angeklagter dreist lügt, sich offen zum Nationalsozialismus bekennt, darf mit Milde der deutschen Justiz rechnen. Das Urteil stärkt die rechte Szene, gibt ihnen Auftrieb, und ermutigt

durch das Strafmaß die Rechtsterroristen zum Weitermachen auf.

 

Das Problem heißt Rassismus! Es reicht!

Als Initiative zum Gedenken an Ramazan Avcı (RAI), der 1985 in Hamburg am Bahnhof Landwehr durch Neonazis ermordet wurde, sind wir in Gedanken bei den Angehörigen von Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter , die durch den NSU und seinem Netzwerk ihre Liebsten verloren haben. Wir trauern mit ihnen und erklären uns solidarisch mit den Hinterbliebenen. Die heutigen Urteile haben die Schmerzen der Familien vertieft und ihr Restvertrauen auf Aufklärung endgültig zerstört.

Die RAI hat die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü mitbegründet. Wir können den Familien nicht ihre Liebsten zurückholen, aber wir können helfen sie aus der ihnen zugewiesenen Opferrolle raus zu holen und ihnen eine Stimme zu geben. Dem Botschaft der Täter, dass die Opfer aus der Gesellschaft gelöscht werden sollen, können wir entgegen treten in dem wir gemeinsam mit den Opferangehörigen erklären: Wir sind hier,

und wir sind Teil dieser Gesellschaft. Nach wie vor ist es skandalös, dass Hamburg keinen parlamentarischen

Untersuchungsausschuss zur Mordserie errichtet hat. Die Rolle der staatlichen Institutionen im Falle der Ermordung von Süleyman Taşköprü wird totgeschwiegen, nachdem sich der Hamburger Senat sich und seine Ermittlungsbehörden selbst geprüft und einen Persilschein ausgestellt hat. Hamburg bleibt als einziges Bundesland eine Blackbox NSU.

Die Hamburger Bürgerschaft hat vor Kurzem am Todestag von Süleyman Taşköprü, am 27.Juni, die Familie Taşköprü um Entschuldigung gebeten. Eine Entschuldigung, die in diesem Zusammenhang aber nicht weh tut, ist nicht viel wert. Zudem muss die Entschuldigung nicht von der Bürgerschaft, sondern vom Senat, insbesondere von der Innenbehörde kommen. In der allgemein gehaltenen Entschuldigung fehlt die konkrete Benennung derjenigen Personen und Institutionen wie Polizei und Staatsanwaltschaft, die die auf rassistische Stereotypen basierenden Ermittlungen zu verantworten haben.

In den heutigen Redebeiträgen verschiedenster Gruppen und Initiativen wird die solidarische Annährung an die Angehörigen und der NSU Komplex Thema sein, weshalb wir uns mit unserem Beitrag auf die bisherigen Ausführungen beschränken wollen. Wir möchten statt dessen darauf eingehen, in welchem gesellschaftlich Klima

Rechsterroristen sich ermächtigt fühlen, den Worten Taten folgen zu lassen.Wir haben kein Flucht- oder Migrationsproblem! Das Problem heißt Rassismus!

Wenn beim NSU Komplex nur von einem Versagen der Sicherheitsbehörden die Rede ist, so versperrt diese eingeschränkte Sichtweise den Blick auf institutionellen und alltäglichen Rassismus in Deutschland und Europa. Parallel zum Auffliegen des NSU rücken nationalistische und rassistische Diskurse in die Mitte der Gesellschaft. So viel dazu, dass aus dem NSU Komplex angeblich Lehren gezogen worden sein sollen. Deshalb schlägt mit der angeblichen europäischen Migrationskrise, die den Untergang des europäischen Wohlstands verursache und die abendländische Kultur bedrohe, die Stunde der Panikmacher. Ihnen geht es um die Zerschlagung von Humanität und Menschenwürde.

Es geht ihnen um die Macht und die Kontrolle über das Denken und unserer Empathie. Die AfDisierung der Republik, die durch den Einzug in den Bundestag und fast alle Landtage, Hunderte Millionen Euros an Steuergeldern bekommen, macht sich an enthemmter menschenverachtender Sprache deutlich. Ein Überbietungswettbewerb an verrohter zynischer Sprache ist bei allen Parteien bis hin zu Teilen der LINKEN aufgekommen.

Es gehört zum guten Ton den Rassismus hinter Worten wie "Asylgehalt", „Asylschmarotzer“, "Asyltourismus" (das ist im Übrigen eine diffamierende Wortschöpfung der NPD gegenüber Sinti und Roma), und "Anti-Abschiebe-Industrie" zu verpacken. Knastartige Abschiebelager hören sich besser an, wenn diese verharmlosend Ausschiffungsplattformen, Transitzentren oder ANKER Zentren genannt werden.

Auch wenn historische Parallelen schwierig sind, so erinnern wir an die Flüchtlingskonferenzvon Evian im Jahre 1938, wo sich die Staatengemeinschaft darauf verständigen konnte nur 80.000 Menschen Schutz vor dem Nationalsozialismus zu bieten.

Dutzende Schiffe überfüllt mit deutschen und europäischen Jüd*innen irrten damals auf den Meeren umher, ohne anlanden zu können. Entweder sie sanken oder sie waren gezwungen, umzukehren und ihre Insassen zurück in die Hände des Vernichtungssystems zu übergeben. Nichts anderes geschieht heute am Mittelmeer, wenn Rettungsschiffe festgesetzt werden und die Helfer*innen kriminalisiert werden. Und flüchtende Menschen in Libyen oder sonstwo in Afrika ausgesetzt oder interniert werden.

 

Das Problem heißt Rassismus und wir sind mit unserer Lebensweise und unseren Privilegien Teil des Problems. Internierungslager gegen Schecks ist die verrohte menschenverachtende Losung, die vom Friedensnobelpreisträger EU propagiert wird. Afrikanisches Leben hat wie zu Zeiten des Kolonialismus keinen Wert für Europa. Europäische Millionen subventionieren ein Genozid an Migrant*innen im Mittelmeer. Nach vorsichtiger Schätzung der UNO sind bisher über 34.500 Menschen im Massengrab Mittelmeer ertrunken. Im Juni 2018 ertrank jeder sechste beim Versuch über das Mittelmeer einzureisen. Ohne den unermüdlichen Einsatz von Watch the Med, Seawatch, Alarmphone, Ärzte ohne Grenzen, Save the Children, Lifeline u.v.m würden mehr Menschen im

Massengrab Mittelmeer ertrinken oder erfrieren. Der Einsatz dieser Organisationen wird zunehmend kriminalisiert und militärisch bekämpft. Nichts soll den Glauben stärken, dass sich der Einsatz für Menschen lohnt.

Aber eines ist klar: Nicht die Helfer*innen, die Menschen in Lebensgefahr retten sind kriminell. Vor Gericht gehören die Staatschefs und die Bürokraten aus der EU, die mit ihren barbarischen Plänen diese Rettungen verhindern.

Wie können Menschenrechte, Aufklärung und Humanismus propagiert werden, wenn gleichzeitig die Rettung von Menschenleben als krimineller Akt verkauft wird.Wie die Süddeutsche kürzlich schrieb: Wer gerade dabei ist zu Ertrinken, der ist weder Flüchtling, noch Migrant, weder Afrikaner noch Europäer, weder Christ noch Muslim, der ist ein Mensch, der gerade dabei ist zu ertrinken, und gerettet gehört. Menschen sehenden Auges ertrinken zu lassen, um andere abzuschrecken, damit sie nicht kommen, ist ein Akt der Barbarei.

Die NGOs haben bis heute Hunderttausende vor dem Ertrinken gerettet. Es zeigt sich, dass Widerstand gegen das mörderische Grenzregime möglich ist und Menschenleben rettet. Tatsächlich geht es aber um das Überleben von Millionen Menschen auf der Welt. Krieg, Vertreibung, Flucht und Migration wird es geben, solange das ökonomische Ungleichgewicht auf der Erde fortwirkt. Wir benennen es immer wieder: Wenn wie in 2017

die 42 reichsten Menschen der Erde zusammengenommen genau so viel Vermögen haben, wie die 3,7 Milliarden ärmsten der Weltbevölkerung, dann sind die Fluchtursachen bekannt. Nicht die Geflüchteten erzeugen diese Fluchtursachen. Das militärisch industrielle Komplex und das ausbeuterische globalisierte kapitalistische

System stellen eine sehr ernsthafte Bedrohung für die Menschheit und diesen Planeten dar. Die Symbolhaftigkeit der Bilder ist bedeutender als Menschen in den Elend und Tod zu treiben. Wer mit den eigenen Werten und den Menschenrechten so umgeht, muss sich nicht wundern, dass die Glaubwürdigkeit nicht mehr gegeben ist, und Rechtspopulisten und Faschisten so nicht aufgehalten werden können. Europaweite sklavenähnliche und

ausbeuterische Beschäftigungen erinnern an den Beginn des Kapitalismus vor 200 Jahren. Gleichzeitig werden Menschen im Bundesgebiet zunehmend sozial entrechtet und gesellschaftlich abgehängt. Das Armutsrisiko und Risiko obdachlos zu werden steigt unaufhaltsam von Jahr zu Jahr, während die Börsenkurse und Immobilienspekulationen boomen und das Vermögen von Wenigen sich jährlich einseitig erhöht.

Das ist der Nährboden für Rechtsextreme und Faschisten. Trotz dieser düsteren Aussichten, gilt es den politischen Kompass für eine menschenwürdige und gleichberechtigte Gesellschaft nicht zu verlieren. Von Herrschenden werden Rechte selten gewährt. „Das Recht, Rechte zu haben“ muss stets erkämpft werden, wie Hannah

Arendt es sagte. Die erkämpften Rechte sind nie sicher und müssen stets verteidigt werden. Hierfür müssen wir uns jenseits ideologischer Unterschiede vereint einsetzen. Der Feind steht rechts.

Die Zeichen der Zeit erfordern ein viel stärkeres Entgegenstellen gegen Faschismus und Rassismus. Wir antworten dem alten, neuen Rassismus mit einer Gesellschaft der Vielen, die auf grenzenlose Mobilität und dem Recht auf politische und soziale Teilhabe setzt – unabhängig von Papieren und Status. Macht weiter! Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!

 

Ramazan Avcı İnitiative 11.7.2018 Demo Kein Schlussstrich