Pressemitteilung: Keine Entpolitisierung des Veddeler Nazi-Anschlags

Die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü und das Hamburger Bündnis gegen Rechts stellen sich gegen eine Entpolitisierung des Anschlags am S-Bahnhof Veddel im Dezember 2017. Für die anstehende Urteilsverkündung im Prozess gegen den Neonazi Stephan Kronbügel fordern wir mit dieser gemeinsamen Pressemitteilung, dass der rechte Hintergrund der Tat deutlich benannt wird. Der Ort, die Vorgehensweise und die Vergangenheit des Tatverdächtigen Kronbügels sprachen schon von Beginn an für einen solchen Hintergrund, eine Bestätigung dieses Eindrucks hat der Prozess geliefert.

 

Als antifaschistisch engagierte Initiativen waren wir bestürzt über den Anschlag am S-Bahnhof Veddel vom 17.12.2017 durch den wegen des Totschlags an Gustav Schneeclaus im Jahr 1992 verurteilten Neonazi Stephan Kronbügel. Schnell nach dem Anschlag drängten sich durch die Verwendung des gewählten Sprengsatzes mit Schrauben und die Auswahl eines Stadtteils, der migrantisch und linksalternativ geprägt ist, Erinnerungen an Sprengstoffanschläge des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) sowie der „Gruppe Freital“ auf.

Indes behauptete die Polizei in den ersten Wochen nach dem Sprengstoffanschlag, dass es keinen politischen Hintergrund gäbe, da Kronbügel nur noch der „Trinkerszene“ zugerechnet werde und nicht mehr neonazistisch organisiert sei. Wie so häufig wird auch hier eine rechtsextreme Organisierung und nicht die politische Orientierung Bedingung, um eine Tat als rechtsextrem motiviert zu bewerten. Die Darstellung wurde von vielen Medien übernommen, wie auch bis heute der Sprengstoff als „Böller“ verharmlost wird. An der Verharmlosung und Entpolitisierung änderte auch die gleichzeitige Thematisierung der rechtsextremen Vergangenheit Kronbügels nichts.

 

Im Prozess offenbarte sich jedoch die nach wie vor völkisch-rassistische Einstellung Kronbügels, welche er nach Zeug*innenaussagen auch in jüngster Vergangenheit noch äußerte. Die Zeug*innen wurden teilweise vor Gericht erstmals vernommen, nachdem sie sich zum Teil unaufgefordert gemeldet hatten. So auch eine ehemalige Lebenspartnerin von Kronbügel, die angab, das zuständige Jugendamt schon im Vorfeld vor einem möglichen Anschlag gewarnt und unmittelbar danach der Polizei gegenüber eine ihn belastende Aussage gemacht zu haben. Kronbügel habe ihr gegenüber bereits im Sommer 2017 davon gesprochen, er wolle „die Bombe platzen lassen“. Der zuständige Polizist konnte sich im Prozess jedoch angeblich nicht mehr daran erinnern. Polizeiliche Ermittlungen wurden weder damals noch im Zuge des Sprengstoffanschlags aufgenommen. Auch die Beharrlichkeit der Vorsitzenden Richterin hat dazu beigetragen, dass die lückenhafte Beweisaufnahme im Prozess umfangreich ergänzt wurde. Ebenso wurde durch die vom Gericht in Auftrag gegebenen kriminaltechnischen und rechtsmedizinischen Gutachten deutlich, dass die verwendeten Sprengsätze auch auf mehrere Meter potentiell tödlich wirken können.

 

„Nichtsdestotrotz bleiben Fragen offen“, so resümiert die Gruppe der Prozessbeobachtung: „Der Prozess hat in umfassender Weise die rechtsextreme Biografie des Täters und seine andauernde Bereitschaft, diese in rechtsextrem motivierten Taten zum Ausdruck zu bringen, hervorgebracht. Fragen nach möglichen weiteren Beteiligten wurde, auch bedingt durch die fehlende polizeiliche Ermittlungsarbeit, jedoch nicht weiter nachgegangen. Antifaschistische Prozessbeobachtungen als Moment der Gegenöffentlichkeit sind notwendig, um die Ermittlungsbehörden und auch die Gerichte mit ihrer entpolitisierenden und verharmlosenden Perspektive nicht durchkommen zu lassen.“

 

Die Verkündung des Urteils gegen Stephan Kronbügel ist für den 29.10. um 14 Uhr angesetzt. Die Staatsanwaltschaft hat für acht Jahre Freiheitsstrafe wegen versuchten Mordes in vier Fällen plädiert, den politischen Hintergrund Kronbügels jedoch trotz eindeutiger diesbezüglicher Beweislage außer Acht gelassen. Dabei wurde die mörderische Dimension des Anschlags durch die Frage der Staatsanwaltschaft zu Beginn des Prozesses „was jemand vorhabe, der einen Sprengsatz mit Nägeln zündet“, verdeutlicht. „Warum aber vermeidet sie es angesichts dessen, dass der Anschlag BewohnerInnen eines migrantisch geprägten Viertels galt, die Frage nach dem Tatmotiv zu stellen: Wem sollte der Sprengstoffanschlag gelten und warum?“, so Felix Krebs vom Hamburger Bündnis gegen Rechts.

 

„Eine Lehre aus dem NSU-Komplex muss es sein, rassistische und neonazistische Gewalt deutlich zu benennen und ihr gesamtgesellschaftlich entgegenzutreten. Der NSU-Prozess hat gezeigt, dass die Entpolitisierung rassistischer Gewalt die Neonaziszene motiviert. Wir können uns im Veddel-Prozess nicht damit zufrieden geben wenn zwar die Schwere der Tat, nicht aber ihr rassistisch-neonazistischer Hintergrund juristisch verhandelt und zum Gegenstand der öffentlichen Debatte wird“ sagt Robin Steinbrügge von der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü.

 

Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü: https://www.aufklaerung-tatort-schuetzenstrasse.org/

Hamburger Bündnis gegen Rechts: https://www.keine-stimme-den-nazis.org/

Prozessbeobachtung: veddelprozess.blogsport.eu