Redebeitrag auf der "We‘ll Come United" - Parade am 29.9.2018

Folgenden Redebeitrag hielten wir auf dem Wagen "Kein Schlussstrich" vom Tribunal "NSU-Komplex auflösen!" und Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung auf "We‘ll Come United" - Parade:

"Wir sprechen für die Hamburger Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü. Süleyman Taşköprü ist in Hamburg-Bahrenfeld aufgewachsen, zur Schule gegangen und hat zusammen mit seiner Familie in der Schützenstraße einen Lebensmittelladen betrieben. Am 27. Juni 2001 wurde er in diesem Laden von Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrundes ermordet. Er ist das dritte der zehn NSU-Mordopfer.

Die Initiative hat sich in Sorge darüber gegründet, dass mit dem Urteil im NSU-Prozess die Auseinandersetzung mit den NSU-Gewalttaten abbrechen wird. Die Initiative steht in Hamburg dafür ein, dass in der Stadt die Aufklärung und die Erinnerung an den Mord an Süleyman Taşköprü nicht endet, sondern angemessen und umfassend stattfindet. Hier wie überall gilt: Kein Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex und dem gesellschaftlichem Rassismus!

Wie an allen anderen NSU-Tatorten und wie bei einem Großteil aller in der BRD begangenen rassistischen Morde und Angriffe waren auch die Ermittlungen zum Mord an Süleyman Taşköprü nicht auf einen möglichen rassistischen Hintergrund des Mordes gerichtet. Wie in Nürnberg, Köln, München, Kassel, Dortmund, Rostock wurde auch in Hamburg stattdessen das Mordopfer und seine Familie verdächtigt, ergoßen sich über sie auf rassistische Stereotypen gründende Verdächtigungen und Ermittlungen.

Kein Schlussstrich muss in Hamburg bedeuten, gemeinsam dafür zu sorgen, dass endlich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet wird. Dieser Ausschuss muss den institutionellen Rassismus in Polizei und Staatsanwaltschaft, der diese rassistischen und verheerenden Verdächtigungen gegen Süleyman Taşköprü und seine Familie hervorgebracht hat, sichtbar machen und ihn kritisch einordnen.

Kein Schlussstrich muss in Hamburg bedeuten, gemeinsam dafür zu sorgen, dass zukünftig Polizei und Staatsanwaltschaft in Fällen von Gewalt gegen Migrant*innen und People of Color einen rassistischen Hintergrund der Tat in Betracht ziehen und entsprechend auch in diese Richtung ermitteln müssen, solange bis das Gegenteil bewiesen ist.

Kein Schlussstrich muss in Hamburg bedeuten, gemeinsam dafür zu sorgen, dass Medien, Öffentlichkeit und jede, jeder von uns sensibel ist für die in Hamburg andauernde konkret bestehende Bedrohung durch rechte und rassistische Gewalt. Es muss bedeuten dafür zu sorgen, dass Medien, Öffentlichkeit und jede, jeder von uns misstrauisch bleibt gegenüber beschwichtigenden, verharmlosenden und rassistische oder nazistische Tatmotive verleugnenden Einschätzungen von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Der letzte in Hamburg bekannt gewordene Gewaltakt, bei dem ein rassistisch-neonazistischer Hintergrund im Grunde offen zu Tage liegt, war der Anschlag auf dem S-Bahnhof Veddel Mitte Dezember 2017. Die Zündung eines Sprengsatzes mit Nägeln in dem migrantisch geprägten Stadtteil erinnert an den rassistischen Anschlag in der Keupstraße durch den NSU 2004 und an den Anschlag auf dem S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn 2000.

Wieder – und beschämender, bestürzender Weise – zeigt der Umgang von Polizei, Medien und Öffentlichkeit mit dieser Tat – in den Wochen nach dem Anschlag bis heute, da gegen den mutmaßlichen Täter der Prozess geführt wird – die im Zusammenhang mit rassistischer Gewalt bekannte Indifferenz, das Kleinreden, Negieren, Wegschauen und die so oft schon fehlende Solidarität mit potentiellen Opfern rassistischer Gewalt. Das Verfahren gegen Stephan Kronbügel erfährt in Hamburg kaum öffentliches Interesse in den Medien oder der Zivilgesellschaft. Und das, obwohl mit Stephan Kronbügel ein Neonazi erneut vor Gericht steht, der 1992 zusammen mit dem Neonazi-Funktionär Stefan Silar den Kapitän Gustav Schneeclaus erschlug, nachdem dieser Hitler als den größten Verbrecher bezeichnet hatte. Nach dem Anschlag auf der Veddel wurde in der Presse auf diesen Mord und die neonazistische Vergangenheit des mutmaßlichen Täters hingewiesen. Gleichzeitig wurden die Aussagen der Hamburger Polizei zitiert, mittlerweile falle Stephan Kronbügel nur noch als Kleinkrimineller und Trinker auf, ohne das diese Aussagen problematisiert und kritisch hinterfragt wurden. Weder die Hamburger Polizei noch die Medien wollten im Dezember 2017 aussprechen, dass rechte und rassistische Gewalt in Hamburg eine bestehende Bedrohung darstellt, der Veddeler Anschlag einen rassistischen neonazistischen Hintergrund haben kann und entsprechend auch in diese Richtung ermittelt werden muss.

Vor dem Hintergrund dieser Verleugnung eines möglichen nazistischen und rassistischen Hintergrunds des Anschlag auf der Veddel und angesichts des fehlenden öffentlichen Interesses am Prozess, erweisen sich Aussagen, die Stadt Hamburg und die Hamburger Stadtgesellschaft habe aus den verheerend falschen, auf rassistischen Stereotypisierungen gründenden Ermittlungen gegen Süleyman Taşköprü und seine Familie gelernt und Konsequenzen gezogen, als bloße Beteuerungen.

Wir werden das nicht hinnehmen! Es bestärkt uns, die aufgestellten Forderungen unserer Initiative weiter zu verfolgen bis wir in Hamburg echte Veränderungen im Umgang mit rassistischer Gewalt sehen.

 

Kein Schlussstrich heißt:

  • dass institutioneller Rassismus in Polizei und Staatsanwaltschaft sichtbar gemacht und zielführend bekämpft wird. Der erste und wichtigste Schritt dazu ist die Untersuchung der Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft zum Mord an Süleyman Taşköprü in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss!
  • dass Polizei und Staatsanwaltschaft in Fällen von Gewalt gegen Migrant*innen und People of Color einen rassistischen Hintergrund der Tat in Betracht ziehen und entsprechend auch in diese Richtung ermitteln müssen, solange bis das Gegenteil bewiesen ist!
  • dass Medien und Öffentlichkeit die in Hamburg andauernde konkret bestehende Bedrohung durch rechte und rassistische Gewalt recherchieren und aufklären!
  • dass Medien und Öffentlichkeit misstrauisch bleiben gegenüber beschwichtigenden, verharmlosenden und rassistisch oder nazistische Tatmotive verleugnende Einschätzungen von Polizei und Staatsanwaltschaft und ihrerseits weiterführende Untersuchungen betreiben!

Und zuallererst heißt kein Schlussstrich in Hamburg, dass alle Anstrengungen unternommen werden, den Mord an Süleyman Taşköprü aufzuklären! Im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses muss die Frage nach den Hintergründen der Ermordung Süleyman Taşköprüs beantwortet werden, insbesondere mit Blick auf die Beteiligung Hamburger Neonazis und die Erkenntnisse des Hamburger Verfassungsschutzes über ihre Strukturen und Aktivitäten."

 

Das Ende im Prozess gegen Kronbügel wird für Mittwoch den 10.10. erwartet. Näheres Informationen unter veddelprozess.blogsport.eu